Berichte von 03/2020

Coronaquarantäne

Freitag, 27.03.2020

Nun bin ich zurück in Deutschland. Zurück in Deutschland. Familie wieder umarmen, wieder im eigenen Bett schlafen und den vertrauten Geruch des Waschmittels einatmen. Nur leider 5 Monate zu früh.

Zunächst einmal, nein, ich muss nicht in Quarantäne. Am Flughafen wurden keinerlei gesundheitliche Tests durchgeführt (ich weise eindeutig noch Grippesymptome auf (nicht Coronatypisch) und die viel zu kalte Klimaanlage auf einem 11 Stunden Flug hat mir echt den Rest gegeben). Obwohl ich mich im Berliner Flughafen aufgehalten habe und Berlin dank Ausgangssperre als Risikogebiet gilt, hat der Landkreis, in dem ich wohne, noch keine ausdrückliche Quarantäne für internationale Reisende angeordnet. Zum Glück, denn 24 Stunden eingesperrt zu sein, könnte ich mit all dem Wirrwarr und dem Auf und Ab der Dinge, die ich gerade fühle und denke, wirklich nur schwer aushalten. Obwohl natürlich auch das verständlich wäre. So kann ich wenigstens Spazieren gehen, in Gruppen, die nicht größer sind als zwei Personen. 

Es wäre eine Lüge zu sagen, dass ich nicht hier sein möchte. In der Zeit der Corona-Epidemie möchte jeder von seinen Liebsten umgeben sein. Wäre ich in Südafrika, meinem zweiten Zuhause, dann würde ich wahrscheinlich so viel wie nur möglich mit meiner Familie in Deutschland telefonieren. Nun bin ich hier und versuche den Kontakt zu meiner südafrikanischen Familie aufrecht zu erhalten, die sich seit Donnerstag Abend in einer 21-tägigen Quarantäne befinden. Zum Schutz aller und um das weitere Ausbreiten des Virus so gut wie möglich einzudämmen, hat der Präsident ein Lock Down des gesamten Landes beschlossen, was für 21 Tage gilt und ab dem 26.03.2020 um 24 00 Uhr in Kraft getreten ist. Geöffnet sind ausschließlich Supermärkte, medizinische Anlaufpunkte. Leider kann eine solche Maßnahme in einem Land wie Südafrika nicht so gut durchgesetzt werden, wie in einem Land wie Deutschland. 

Viele Südafrikaner leben, vor allem in den Townships, mit ihren Mitmenschen auf sehr engem Raum, was das Ansteckungsrisiko begünstigt. Oder eben in den Shacks, Wellblechhütten, wo sie keinen Zugang zu ausgeichend Wasser, Strom und erst recht nicht außreichend hygienischer Umgebung haben. Der Präsident hat ausdrücklich gesagt, dass es eine Lösung für die Vielzahl an Obdachlosen geben soll. Ich weiß nur nicht, wie eine solche aussehen soll. Zudem verdienen sehr viele Menschen ihren Lebensunterhalt damit, Waren in den Straßen zu verkaufen und sind darauf angewiesen, jeden Tag dort zu sein, da sie sonst nicht einmal genug zu essen für ihre Familien kaufen können. Und dann ist da schließlich noch das Gesundheitssystem, was einer Pandemie wie dieser nicht gewachsen ist und auch ohne das Virus den Umständen in den Townhships kaum standhält. Bisher wurden mehr als 700 Menschen positiv auf das Virus getestet und die Zahlen steigen weiter an. Damit ist Südafrika das Land auf dem afrikanischen Kontinent, mit den meisten Betroffenen. Die positiv getesteten Menschen hatten sich zuvor in Risikogebieten aufgehalten. Wie hoch die Zahl der bereits Infizierten jedoch tatsächlich ist, kann nur geschätzt werden, da eine systematische Untersuchung in den Townships, die Kapazitäten des Gesundheitssystems sprengen würde. Somit ist auch Selbstisolation oder Quarantäne für viele Menschen in den Townships nicht möglich, beziehungsweise bei Infektion nicht ausreichend. Nachdem das Virus in tropischem Klima zunächst nicht überlebensfähig schien und Südafrika das Leiden anderer Länder noch nur durch die Medien wahrnahm, hat Corona nun auch Südafrikafest in der Hand, mit verheerenden Folgen für dieses Land.  

Wie es mir geht? Ehrlich gesagt weiß ich es nicht. Ich mache mir viele Sorgen um dieses wunderschöne Land, welches ich gerade verlassen habe, um meine Gastfamilie, meine Freunde, die vielen Kinder in der Schule, von denen ich mich nicht einmal verabschieden konnte. Viele von ihnen sind auch auf die sogenannten ''Feeding-programs'' der Schulen angewiesen, die ihnen zumindest eine (warme) Mahlzeit am Tag liefern. Was passiert jetzt mit ihnen, wenn sie 21 Tage das Haus nicht verlassen können, ihre Eltern nicht einmal ein wenig Obst in der Straße verkaufen können und kein Essen auf den Tisch kommt. Verhungern sie einfach?

Es wird wieder einmal klar, dass man sich einfach nur glücklich schätzen kann, ZUFÄLLIG in Deutschland geboren zu sein, wo es ÜBERHAUPT keine Frage ist, genug Essen für 21 Tage oder ÜBERHAUPT zu haben, geschweige denn unzureichende medizinische Versorgung zu bekommen. Es ist ÜBERHAUPT KEINE FRAGE. Ich bin dafür sehr dankbar. Und gleichzeitig auch unendlich traurig über die unfaire Verteilung und Einteilung und Strukturierung der Welt. Ich denke an alle, denen es nicht so selbstverständlich gut geht, wie mir. 

Vielleicht ist es für das Ankommen ganz gut, dass ich nicht nach Draußen gehe und dort all die Menschen treffe, die man nur so halb vom Sehen kennt. Warum bist du schon wieder da? Warum hast du dir die Haare abgeschnitten? Wie ist denn Afrika? Ich hätte gerade keine Kraft für das Beantworten dieser Fragen. Denn Fortgehen ist ja so schwer, aber Wiederkommen ist schlimmer. Ich habe das Gefühl, ich wäre nie weg gewesen. Alles sieht noch so gleich aus. Ich weiß, wo alles steht, kenne jeden Weg im Schlaf. Aber das stimmt eben nicht. Ich sehe es, wie mein Bruder innerhalb der letzten 7 Monate gewachsen und wie meine Familie mich fragend anschaut, wenn ich Worte verwende, die sie nicht kennen, oder manche Dinge anders mache. Es wird noch lange dauern, bis ich mich hier wieder anpasse, momentan befinde ich mich in einer Art Schockstarre. Ich bin nicht traurig, nicht glücklich, ich fühle einfach nur recht wenig. Trotz alledem versuche ich optimistisch zu bleiben, so gut es eben geht und das Beste aus der Situation zu machen. Ich hoffe nur, dass es euch allen und euren Familien gut geht. Bleibt gesund und vorallem BLEIBT ZUHAUSE. In diesem Sinne bis bald und auf eine baldige Besserung für alle Betroffenen und an alle Länder, in denen die medizinische und gesellschaftliche Situation nicht so gut abgesichert ist, wie in Deutschland.

Liebe nach Südafrika, mein Zuhause, meine Gedanken und mein Herz sind bei euch.

Ich werde hier trotztdem noch weiterhin Blogeinträge hochladen, um einfach die Umstände verarbeiten und darüber informieren zu können. Und vor allem lebe ich von all den Bildern, also schaut auch da vorbei.

Der zu schnelle perfekte Abschied

Donnerstag, 19.03.2020

Nicht zu fassen, wie schnell alles ging. Die letzten Tage waren so lang, emotional und bittersüß.

Heute ist der letzte Arbeitstag. Erstmal ein letztes Mal morgens Johanna abholen, verschlafen ein Taxi rufen und froh sein, dass man diesen Berg nicht hochlaufen muss. In eine Mappe eintragen, den Schlüssel abholen und in das eigene Office setzen, mit dem morgendlichen Kaffee und 60 Tablets, die alle noch geladen werden müssen, bevor all die Kinder mit ihren Stimmen die Library füllen. Von den Kindern konnten wir uns leider gar nicht verabschieden, nur unsere Soul Buddyz wissen von der Möglichkeit, dass wir fahren. Wir haben uns die Zeit genommen, mit ihnen gemeinsam über Corona zu reden, sodass sie ihre Fragen loswerden und ihre Ängste teilen konnten. Dass es in Deutschland derzeit soviel schlechter aussah, hat alle sehr erschreckt und die bestehende Möglichkeit, dass wir eventuell zurück müssten, noch viel mehr. Allerdings war dies auch der letzte Schultag und für unsere (wahrscheinlich) letzte Soul Buddyz Lesson hatten wir uns etwas besonderes für die Kinder überlegt. Eine stattliche Menge an Süßigkeiten hatten wir bereits am letzten Freitag und diese sollten sie nun bei kleinen Spielen gewinnen können. Staffelähnliche Spiele, bei denen sie sich richtig auspowern können und am Ende jeder eine Belohnung bekommt, wir sind schließlich alle Gewinner;)

 

Demnach war der Abschied von der Seite unserer Soul Buddyz nicht so emotional, wie er eigentlich gewesen wäre. Ich werde jedes einzelne dieser Kinder so sehr vermissen, sie sind so wunderbare Menschen, die mir viel beigebracht haben.

          

10 Minuten, nachdem alle Kinder die Schule verlassen hatten, wussten wir dann mit Sicherheit, dass wir fliegen müssen. Nachdem wir nun wissen, dass wir Makgatho sehr viel früher als gedacht verlassen, konzentrieren wir uns auf das Thema Nachhaltigkeit. Nach uns wird es weitere Freiwillige geben, die das Projekt ein halbes Jahr später so vorfinden, wie wir es hinterlassen haben. Also investiert man nochmal 8 Stunden und schreibt ein 15-seitiges Library-Handover, was alle Probleme, sowie Tricks und Tipps beinhaltet, die wir uns angeeignet haben und vielleicht selbst gern gewusst hätten. Mir ist das Projekt sehr wichtig, Johanna und ich haben viel  Kraft und Zeit in die Planung gesteckt und das Mindeste, was wir jetzt noch tun konnten war, eine möglichst gute Erklärung zu hinterlassen, die den neuen Freiwilligen dabei hilft, das Computersystem und Soul Buddyz zu verstehen. Außerdem haben wir noch Briefe an die Koordinatoren geschrieben, mit denen wir eng zusammen gearbeitet haben. Wir haben versucht zu erklären, was wir in den letzten 6 Monaten gemacht haben, was sich verändert oder verbessert hat und was wir noch vorhatten. Gerade zu Soul Buddyz hatten wir ganz besonders viel zu sagen, wir hatten schließlich im Dezember eine Art Lehrplan für das gesamte Schuljahr geschrieben mit Themen, die wir abarbeiten wollten. Beim Durchgehen durch all die von uns erstellten Materialien und Arbeitsblätter, ist mir klar geworden, wie stolz ich auf das bin, was hier passiert ist. Ich hatte wirklich das Gefühl, dass wir angekommen sind und einen Teil zur Schule und auch der Entwicklung der Kinder beitragen können. Ich habe hier selbst so viel gelernt und entdeckt, dass ich diese Arbeit gut kann und sie mir auch Spaß macht.

In unseren Briefen haben wir uns natürlich auch für all die Unterstützung und Hilfe bedankt, vor allem ich habe da so viel zu sagen, da ich ganz zu Beginn so verloren ohne meinen Mitfreiwilligen war und bestimmt eher eine Last, als Hilfe, war. Geplant war, uns vom gesamten Kollegium mit Übergabe der Briefe, sowie ausgedruckter Fotos und selbstgebackenem Kuchen, bei einem Meeting zu verabschieden. Das Meeting gab es auch, nur anders als von uns erwartet. Eine Lehrerin hatte uns ins Office gebeten und uns ein Kleid für Johanna und eine Hose mit Bluse für mich in die Hand gedrückt. Traditionelle Sepedi-Klamotten. Ich war mehr als überfordert von dieser Geste, doch damit war es noch nicht getan. Bei Makgatho wird, immer wenn jemand geht, ein Geschenk überreicht und ein paar liebe Worte gesagt. Tatsächlich wurden nicht nur Johanna und ich verabschiedet, noch zwei andere Mitarbeiter verlassen mit uns die Schule.Wir wurden gebeten unsere neuen traditionellen Kleider zu tragen, damit wir als offizielle South African Citizens berabschiedet werden können. Ein Kollegium, zu dem du selbst in den letzten 6 Monaten gehört hast, singt mit lauten Stimmen die südafrikanische Hymne (übrigens die schönste Hymne der Welt) und in diesem Moment gehörst du wirklich dazu. Worte werden schluchzend herausgepresst und dir wird klar, dass du eben doch zu einer Familie gehörst, auch wenn du aus einem anderen Land kommst und die Menschen, mit denen du gearbeitet hast, dir das erst zum Ende richtig zeigen.

Ich kann an dieser Stelle nur DANKE sagen (diese Personen werden meinen Blog niemals lesen, geschweige denn sprechen sie meine Sprache, aber ein paar Namen müssen hier jetzt genannt werden)

Danke, an Mam Dlamini und Violin, die wohl herzlichsten Menschen der Welt.

Danke, an Mam Matlala, unsere Library-Mama, die super viel Geduld mit uns hatte und mir immer wieder erklärt hat, wie ich bei 60 Kindern in einem Raum die Kontrolle behalte.

Danke, an Andile und Tebogo, die mit uns die Pausen verbracht haben und mit denen wir so viel gelacht haben, wenn Johanna und ich versucht haben, Sepedi zu sprechen.

Danke, an Jane, unsere Chefin, die vielleicht ein wenig Ärger mit uns hatte, aber immer offen für unsere Ideen war und uns das erst hier ermöglicht hat.

Und Danke an Mpumi, die uns früh immer Kaffee gemacht hat, ohne dich hätte ich wahrscheinlich nicht überlebt♥

Number ONE

Montag, 16.03.2020

Seit Wochen liefen auf Arbeit die Vorbereitungen auf Hochtouren. Mithilfe von Spendengeldern, war es der Schule möglich, die langersehnte Küche nicht zu renovieren, sondern ein eigenes Gebäude für diese zu bauen. Diese neue Küche soll heute bei einem feierlichen Event übergeben werden. Und zwar von niemand geringerem als dem Minister of Education of South Africa.

Letzten Freitag war der wohl längste Arbeitstag. Bis 19 00 haben wir alles geputzt, geschruppt. So ordentlich war alles selten, alles geplant, jeder wusste seine Position und Aufgabe für den Montag. Doch nach der Rede des Präsidenten und der Nachricht der vorzeitigen Schulschließung, sowie der Absage sämtlicher künftiger Großveranstaltungen, kommt die Ministerin am Montagmorgen doch nicht. Dann machen wir eben unsere eigene Feier, nach all der Arbeit und Anspannung, die heute von uns abfällt. Und genauso wird es auch.

Auf dem Sportplatz steht ein riesiges Eventzelt, was nun mit den Schülern gefüllt wird. Geplant war ein Programm, der Auftritt des Chors, Reden von Schülern und jede Menge Musik, was jetzt die Schüler genießen. Alle tanzen ausgelassen, den heutigen Tag kann nichts ruinieren.

Und mittendrin ertönt immer wieder der Ruf "Number One". Die Schule ist die Nummer Eins, die neue Küche ist für alle und bietet ganz neue Möglichkeiten. Das wird in vollen Zügen gefeiert und genossen, mit Essen, musik und dem Lachen der Kinder und aller die, die so lange dafür gearbeitet, geplant und gehofft haben. Es tut so gur, ein Teil dieser Freude zu sein, auch wenn wir nicht explizit an diesem Projekt mitgearbeitet haben, sind wir heute ein Teil der Number One, Makgatho.

Und inmitten des Lachens, des Glücks und all der Dankbarkeit, vergesse ich sogar für einen Moment die Sorgen über eine mögliche baldige Abreise.

Tränen und Umarmungen

Sonntag, 15.03.2020

Heute ist meine Welt zusammen gebrochen. 

Ich war gerade unterwegs, gemeinsam mit meiner Gastschwester. Den Sonntagabend genießen, frei sein. Für 19 00 Uhr war eine Rede des Präsidenten, bezüglich der weltweiten kritischen Situation, aufgrund des sich rassant ausbreitenden Corona-Virus, angekündigt. Circa 3 Stunden später ist meine Stimmung im Eimer. Die Schulen sollen noch diese Woche geschlossen wwerden, ähnlich wie in Deutschland. Außerdem ist die erste E-Mail des Auswärtigen Amts eingetroffen, erste Hinweise zu der Situation und die Bitte zur dringenden Alarmbereitschaft. Nurr knappe 5 Minuten später trudeln die ersten besorgten Fragen aller Freiwilligen an Mentoren, Koordinatoren und die Organisation ein.

Zunächst wird zur Ruhe gemahnt, es geht um viele Hygienemaßnahmen, doch die Zahlen der Infizierten in Südafrika steigen rassant an. Außerdem drängt das Auswärtige Amt viele Entsendeorganisationen aufgrund der unklaren Sicherheitslage zur sofortigen Rückreise sämtlicher Freiwilliger auf der ganzen Welt. Meine Freunde im Kalafong Hospital teilen es uns am Montag Morgen mit, sie fliegen zurück nach Deutschland. Dienstag Nachmittag wissen auch wir es, das Auswärtige Amt ordnet einen sofortigen Rückruf aller Freiwilligen an. Es geht für uns zurück nach Hause.

Die kommenden Tage sind komisch. Wir sind immer zusammen. Ich habe mich noch nie in meinem Leben so merkwürdig gefühlt, irgendwie zerrissen. Wir müssen wirklich zurück nach Hause. Aber dafür eben auch unser jetziges Zuhause verlassen. Ich war selten so dankbar, eine handvoll Menschen um mich zu haben, wie in dieser letzten Woche. Uns allen geht es genau gleich. Die abwechselnden Stimmungen von Optimismus und Genuss der letzten Tage und dem spontanen Ausbrechen in Tränen, weil zufällig ein Lied läuft, zu dem wir auf dem letzten Roadtrip noch lauthals und bedingungslos glücklich gesungen haben. Ich bin einfach nur froh, dass mich jemand in den Arm nimmt. Oder mit mir eine Runde geht, wenn ich das Gefühl habe, sonst zu platzen. Schon krass, wie sehr einen Erfahrungen und Begegnungen als Gruppe zusammen wachsen lassen.

Es ist komisch, wie sehr man Dinge plötzlich zu schätzen weiß, wenn man plötzlich realisiert, wie schnell sie doch auch wieder zuende sein können. Atteridgeville kam mir noch nie so schön, so besonders, vielleicht bin ich auch einfach anders. Ich falle in viele Gewohnheiten zurück, bin sehr hektisch. Auch meine Gastfamilie hat sich, denke ich, viele Sorgen gemacht. Mit ihnen verbringe ich ganz besondere, zunächste letzte, Tage. Eigentlich machen wir nichts besonderes, raus gehen ist nun auch in Südafrika nicht länger erwünscht, aber es so viel wert, noch einmal mit meinen Gastgeschwistern im Hof zu kuscheln, Musik zu hören, mit meiner Gastmutter zu diskutieren oder zusammen ein Bier zu trinken.

Ich bin so traurig, über die Zeit, die ich jetzt nicht haben kann. Über all die Plätze, die ich innerhalb der nächsten fünf Monate nicht besuchen werde. Die Menschen, die ich nicht sehen werde, die Arbeit. Die Pläne, die nun nicht zur Wirklichkeit werden. Meine deutsche Familie hätte mich nur 2 Wochen später selbst besucht und ich hätten ihnen so gern alles gezeigt, was mir hier so wichtig ist. Vor allem bin ich aber so dankbar für die letzten 6 1/2 Monate. Es ist nicht in Worte zu fassen, wie gut mir diese Zeit getan hat, deshalb schreie ich in meinem Kopf nur noch DANKE und genieße die letzten Tage in vollen Zügen, mit all den Menschen, die ich hier so lieb gewonnen habe, meiner Familie. Zurück kommen kann ich immer.

Ich hoffe, dass ihr alle mit euren Lieben seid und euch gemeinsam durch diese schweren Zeiten helft.

Bis bald.

Fremd

Sonntag, 08.03.2020

Nicht jeder Tag ist ein Guter. Manchmal fühlt man eben, dass man vielleicht nicht zu 100 Prozent dazugehört, sondern aus einem anderen Teil der Welt kommt und anders tickt. Für mich ist dieses Gefühl schwer einzuordnen, aber wahrscheinlich ist es Heimweh. Mashadi hat mich einmal in den Arm genommen und gesagt: "Weißt du Rhea, manchmal habt ihr Heimweh, auch wenn ihr es gar nicht wirklich merkt. Und es ist okay, heimweh zu haben."

Nach einer Zeit von 6 Monaten bin ich hier Zuhause. Aber Zuhause impliziert eben auch, dass Menschen dich verstehen, nicht nur innerhalb der eigenen vier Wände. Es impliziert, dass du mit der Masse der Menschen unausgesprochene Gemeinsamkeiten teilst, unausgesprochene Regeln befolgst, Verhaltensmuster. Mentalität. Ein so großes Wort, denn was ist Mentalität alles? Für mich ist Mentalität ein Teil der Persönlichkeit und deines Verhaltens, was du durch unbewusstes Beobachten und Nachahmen deines Umfelds erlernst. Doch das ist nur, deine eigene Mentalität, die Mentalität des Landes, in dem du lebst ist so viel mehr. Für mich spielt da das Lebens- und Sicherheitsgefühl, ebenso wie die soziale Situation und eben das System von Universalismus und Patikularismus hinein, worauf ich in einem anderen Blogeintrag schon eingegangen bin. Doch wie soll oder kann ich eine Mentalität denn verstehen, wenn ich von einem Ort komme, an dem die soziale Situation, die Sicherheit und eigentlich fast alle Strukturen für mich sicher und fest sind. Wie kann ich Dinge kopieren, Verhaltensmuster anpassen und diese Dinge auch noch toll finden, wenn der Grund des Verhaltens der Menschen eigentlich ein nicht erstrebenswerter ist. Wie kann ich die Streetscene und die entspannte Einstellung der Menschen, sowie die Offenehit und Toleranz gegenüber jedem einzelnen Individuum so feiern, wenn gerade die Entspanntheit ein Ergebnis der weitreichenden Armut ist. Ganz einfach. Weil ich die Möglichkeit habe, es zu sehen. Weil ich das Glück hatte, in einem Land mit sicheren Strukturen geboren zu sein, was mir heute die Möglichkeit gibt, die Welt und all diese Ungerechtigkeit zu sehen.

So viel der Dinge, die ich bereits nach 25 Prozent meines Freiwilligendienstes als gut und besser betrachtet und empfunden habe, scheinen mir zurzeit zwar noch richtig, aber der Grund wie diese Verhaltensmuster zustande kommen, ist so eindrücklich, dass es doch sehr fake ist, ein Verhalten nachzuahmen, was einen solchen Ursprung hat. Oder ich lerne mich eben gerade selbst kennen und erkenne, welche Seiten von mir in einer Gesellschaft, die auf Leistung und Schnelligkeit getrimmt ist, unterdrückt ist. Man kann sich eben nicht nur die guten Dinge und Verhaltensweisen rauspicken und sich eine "perfekte" Mentalität kreieren. Die Mentalität kreiert sich selbst, aus dem was uns umgibt, die Art und Weise, wie Menschen mit uns interagieren. Also kreiiert und formt die Mentalität eher uns. Und äußert sich eben in der African Time, der deutschen Überpünktlichkeit und so viel anderer Dinge.

Und manche Dinge verstehe ich nicht ganz, möchte ich vielleicht auch nicht ganz verstehen, weil sie für mich einfach in dieser Form keinen Sinn ergeben. Ich habe mich schon oft aufgeregt, über langatmige Prozesse, Organisationen die sich in die Länge ziehen, oder einfach, wenn die Kopie, auf die ich seit 2 Stunden warte, 3 Wochen später immer noch nicht bei mir angekommen ist.

Dieses Thema ist so unendlich interessant, doch beschäftigt mich derzeit ebenso emotional. In einem Land zu leben, lässt mich meine eigene Mentalität infrage stellen, ich versuche sie zu bewerten. Bis zur Akzeptanz habe ich noch viel zu lernen. Doch das ist auch das Schöne daran. Das Land aus dem wir kommen, ist eben doch mehr, als nur ein Wort in unserem Pass. Es formt uns und unser Verhalten, kann aber auch bewusst von uns selbst geformt werden. Ich möchte mich mit ganz vielen verschiedenen Menschen und Mentalitäten umgeben, von denen ich lernen kann, die aber auch von mir lernen können.

Bis bald.