Berichte von 10/2019

30 Minuten Fußweg und unendlich viele Gespräche

Sonntag, 20.10.2019

Ich arbeite derzeit jeden Tag von 7 00 Uhr bis 16 00 Uhr. Anschließend laufe ich nach Hause, lasse mich circa eine halbe Stunde von der Sonne brutzeln. Es ist jeden Tag dieselbe Strecke, aber jeden Tag verläuft diese anders. Und in diesen 30 Minuten Fußweg lerne ich wahrscheinlich, neben dem Familienleben, mehr über die südafrikanische Mentalität und die Menschen, als irgendwo sonst.

Über die Menschen hier sei eines gesagt, sie sind freundlich und sehr neugierig. An mir sind sie besonders interessiert, da mir angesehen wird, dass ich nicht von hier komme. Das liegt vor allem an meiner Hautfarbe, da im Township ausschließlich Menschen mit dunkler Hautfarbe leben und sich zumeist auch bewegen. Außer mir wohnen in Atteridgeville noch zwei weitere deutsche Freiwillige, die sich jedoch nicht im selben Teil von Atteridgeville bewegen. Sie sind mit der Entsendeorganisation AfS hier und arbeiten und leben in Mohau, einem Care Center und einer Einrichtung für Waisenkinder und HiV-positive kinder, die sich im Kalafong Hospital, einem staatlichen Krankenhaus befindet. Ansonsten habe ich noch keine einzige weiße Person angetroffen. Dadurch ist das Interesse der Menschen auf den Straßen an mir noch verstärkt. Und eben auch der Kontakt.

Die meisten Leute schauen mich an, ich werde auch schon von weiter weg erkannt. Meistens grüße ich einfach, mittlerweile auch auf Sepedi. Und viele bleiben auch stehen und wollen sich mit mir unterhalten. Viele erkunden sich einfach nach meinem Wohlbefinden oder fragen, wohin ich gehe. Einige scheinen sich ernsthafte Sorgen zu machen, ob ich mich verlaufen habe und wollen mir ein Taxi rufen. Und manche unterhalten sich richtig mit mir. Woher ich komme, was ich mache, wer ich bin. Ich habe kein Problem damit angesprochen zu werden, aber ich muss zugeben, dass es mich schockiert so hervorzustechen, allein aufgrund meiner Hautfarbe. Ich habe mich nie mit dem Thema meiner Hautfarbe auseinander setzen müssen und in den Straßen von Atteridgeville, bin ich mir meines europäischen Aussehens dauerhaft bewusst. Aber solange die Menschen freundlich zu mir sind, beantworte ich ihre interessierten Fragen gern. Einige, vor allem ältere damen, teilen mir mit, dass sie sich freuen mich in der Community begrüßen zu können und wollen wissen, wie ich Südafrika finde. Ganz toll und die Menschen sind das Beste daran.

In Deutschland bin ich in den Straßen anonym, jeder interessiert sich nur für sich selbst. Hier ist das nicht so. Ich habe das Gefühl, Teil einer riesigen Familie zu sein, in der sich jeder schon kennt und umeinander sorgt. Jeder ist sofort dein "Bruder", ich werde mit "Sister" angesprochen, es gibt Handschläge unf spontane Umarmungen, eben so als würde man sich schon kennen. Und so ähnlich ist das auch, nur dass ein völlig neues Sicherheitsgefühl hinzu kommt. Das Thema "Safety" ist sehr wichtig und ich bin nach wie vor in einigen Situationen etwas paranoid. In den ersten Wochen war einfach nur überfordert und hatte jedesmal, wenn ich gemerkt habe, dass die Aufmerksamkeit auf mich gerichtet ist, direkt ein mulmiges Gefühl gehabt. Mittlerweile ist es okay. Ich kann die Umstände leider nicht ändern und bewege mich deshalb wachsam, aber trotzdem entspannt durch das Township. Und solange ich gewisse Straßen meide, von denen mir die Locals abraten, und einfach selbstsicher auftrete, bin ich auch sicher und von Menschen umgeben, die mir jederzeit helfen würden. 

In wenigen Wochen werde ich wahrscheinlich jeden einzelnen Menschen auf meinem Nachhauseweg kennen, der da genauso regelmäßig läuft wie ich. 

Es soll noch gesagt sein, dass sich vor allem der Begriff der Mentalität nicht pauschalisieren lässt und es sich lediglich um meine ganz persönlichen Eindrücke handelt, die eben nur einen kleine Teil widerspiegeln können.

Bis bald☀️