Tränen und Umarmungen

Sonntag, 15.03.2020

Heute ist meine Welt zusammen gebrochen. 

Ich war gerade unterwegs, gemeinsam mit meiner Gastschwester. Den Sonntagabend genießen, frei sein. Für 19 00 Uhr war eine Rede des Präsidenten, bezüglich der weltweiten kritischen Situation, aufgrund des sich rassant ausbreitenden Corona-Virus, angekündigt. Circa 3 Stunden später ist meine Stimmung im Eimer. Die Schulen sollen noch diese Woche geschlossen wwerden, ähnlich wie in Deutschland. Außerdem ist die erste E-Mail des Auswärtigen Amts eingetroffen, erste Hinweise zu der Situation und die Bitte zur dringenden Alarmbereitschaft. Nurr knappe 5 Minuten später trudeln die ersten besorgten Fragen aller Freiwilligen an Mentoren, Koordinatoren und die Organisation ein.

Zunächst wird zur Ruhe gemahnt, es geht um viele Hygienemaßnahmen, doch die Zahlen der Infizierten in Südafrika steigen rassant an. Außerdem drängt das Auswärtige Amt viele Entsendeorganisationen aufgrund der unklaren Sicherheitslage zur sofortigen Rückreise sämtlicher Freiwilliger auf der ganzen Welt. Meine Freunde im Kalafong Hospital teilen es uns am Montag Morgen mit, sie fliegen zurück nach Deutschland. Dienstag Nachmittag wissen auch wir es, das Auswärtige Amt ordnet einen sofortigen Rückruf aller Freiwilligen an. Es geht für uns zurück nach Hause.

Die kommenden Tage sind komisch. Wir sind immer zusammen. Ich habe mich noch nie in meinem Leben so merkwürdig gefühlt, irgendwie zerrissen. Wir müssen wirklich zurück nach Hause. Aber dafür eben auch unser jetziges Zuhause verlassen. Ich war selten so dankbar, eine handvoll Menschen um mich zu haben, wie in dieser letzten Woche. Uns allen geht es genau gleich. Die abwechselnden Stimmungen von Optimismus und Genuss der letzten Tage und dem spontanen Ausbrechen in Tränen, weil zufällig ein Lied läuft, zu dem wir auf dem letzten Roadtrip noch lauthals und bedingungslos glücklich gesungen haben. Ich bin einfach nur froh, dass mich jemand in den Arm nimmt. Oder mit mir eine Runde geht, wenn ich das Gefühl habe, sonst zu platzen. Schon krass, wie sehr einen Erfahrungen und Begegnungen als Gruppe zusammen wachsen lassen.

Es ist komisch, wie sehr man Dinge plötzlich zu schätzen weiß, wenn man plötzlich realisiert, wie schnell sie doch auch wieder zuende sein können. Atteridgeville kam mir noch nie so schön, so besonders, vielleicht bin ich auch einfach anders. Ich falle in viele Gewohnheiten zurück, bin sehr hektisch. Auch meine Gastfamilie hat sich, denke ich, viele Sorgen gemacht. Mit ihnen verbringe ich ganz besondere, zunächste letzte, Tage. Eigentlich machen wir nichts besonderes, raus gehen ist nun auch in Südafrika nicht länger erwünscht, aber es so viel wert, noch einmal mit meinen Gastgeschwistern im Hof zu kuscheln, Musik zu hören, mit meiner Gastmutter zu diskutieren oder zusammen ein Bier zu trinken.

Ich bin so traurig, über die Zeit, die ich jetzt nicht haben kann. Über all die Plätze, die ich innerhalb der nächsten fünf Monate nicht besuchen werde. Die Menschen, die ich nicht sehen werde, die Arbeit. Die Pläne, die nun nicht zur Wirklichkeit werden. Meine deutsche Familie hätte mich nur 2 Wochen später selbst besucht und ich hätten ihnen so gern alles gezeigt, was mir hier so wichtig ist. Vor allem bin ich aber so dankbar für die letzten 6 1/2 Monate. Es ist nicht in Worte zu fassen, wie gut mir diese Zeit getan hat, deshalb schreie ich in meinem Kopf nur noch DANKE und genieße die letzten Tage in vollen Zügen, mit all den Menschen, die ich hier so lieb gewonnen habe, meiner Familie. Zurück kommen kann ich immer.

Ich hoffe, dass ihr alle mit euren Lieben seid und euch gemeinsam durch diese schweren Zeiten helft.

Bis bald.