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Samstag, 29.02.2020

Und schon sitzen wir wieder im Bus, lassen Mthatha und sechs Tage Zwischenseminar hinter uns und kehren zurück zum Alltag. Ich schaue stundenlang aus dem Fenster und beobachte die vorbeiziehenden Xhosa Häuser.
Nach der Wanderung und unserer Ankunft im Coffee Shack Backpacker, sowie mehrerer Tassen Kaffee und endlich, endlich einer Dusche, ist das Seminar natürlich noch nicht zu Ende. So schön es war, keine Themen durchkauen zu müssen, sondern mit allen Leuten zu sprechen und manchmal eben auch zu schweigen, weil mein Körper mit steilen Anstiegen und rutschigen Felsen beschäftigt war, desto wichtiger ist es jetzt, die verbliebenen Tage zu nutzen und über Dinge zu sprechen.
In Gruppen und jeweils mit einem uns nicht betreuenden Mentor bekommen wir die Möglichkeit, Probleme oder einfach Themen anzusprechen, die uns belasten und mit denen wir tagtäglich konfrontiert werden. Somit können alle Mithörenden Vorschläge einbringen, wir coachen uns beinahe selbst. Mir wird noch einmal bewusst, wie unterschiedlich unsere Jahre sind. Wir sind ein Jahr in Südafrika, haben zusammen begonnen und gehen gemeinsam wieder, aber was wir erleben unterscheidet sich so stark von einander, dass es auch verschiedene Länder sein könnten. Auch wie sehr wir uns alle bereits entwickelt haben und welche Veränderung die Umgebung in uns allen auslöst, wird mir noch deutlich bewusster. Obwohl ich die meisten dieser Menschen eine lange Zeit nicht gesehen habe, fällt es leicht, offen und ehrlich über Probleme zu reden, aber auch höre ich interessiert zu. Ich bin sehr dankbar, Teil einer solchen Gruppe sein zu dürfen, in der viel Akzeptanz und Offenheit, gleichzeitig aber eine einheitlich positive und optimistische Grundeinstellung herrscht. Und genau diese Grundeinstellung lässt uns den Fokus von unseren Problemen und Unannehmlichkeiten zu der positiven Seite wenden, ohne sie zu vergessen. Wir sind schon 6 Monate hier und es ist bei allen so viel passiert.
Wir reden viel über Nachhaltigkeit für unser eigenes Projekt, sowie die eigene Rolle des Freiwilligen. Am interessantesten ist für mich das interkulturelle Training. Eigentlich sind nicht besonders viele neue Informationen dabei, aber Verhaltensmustern in der menschlichen Interaktion mit einem theoretischen Begriff zu versehen und einfach Worte für das zu finden, was ich tagtäglich wahrnehme und sowohl zu schätzen weiß, als auch in Frage stelle, gibt mir das Gefühl, ein wenig besser verstehen zu können, wie eine Vielzahl der Menschen tickt. Betrachtet werden dabei beispielsweise der Universalismus und der Patikularismus, wobei der Universalismus eine Person beschreibt, deren Verhalten mit einem grundlegenden Glaube und Vertrauen an eine gesetzgebende Gleichberechtigung verbunden ist. Dieses Verhaltensmuster und die damit verbundenen Aktionen sind häufig bei Menschen zu finden, die in einem Rechtsstaat aufgewachsen sind, wie beispielsweise in Deutschland. Auf der anderen Seite gibt es den Patikularismus, bei dem eher die zwischenmenschliche Beziehung im Mittelpunkt steht. Dies impliziert auch, dass Regeln zwar allgemein geltend sind, aber in jeglichen Situationen die persönliche Ebene einbezogen werden muss. Dies ist eher bei Menschen aus dem globalen Süden anzutreffen. Natürlich ist dies kein allgemein gültiges Raster, sondern kann von Person zu Person unterschiedlich sein. Lediglich eine Tendenz ist festzustellen. Meiner Meinung nach tragen die Persönlichkeitstypen und wie diese geballt vorkommen, einen entscheidenden Teil zur gesellschaftlichen Struktur bei. Ich stelle mir häufig die Frage, was genau nun die bessere und gesündere Gesellschaft sei. So viele Dinge, die ich an der südafrikanischen Lebensweise zu schätzen weiß, wären in einer deutschen Gesellschaftsstruktur unvorstellbar und anders herum ist es ähnlich.
Das Thema interessiert mich so sehr, dass ich es für eine mögliche Zukunftsplanung in Betracht ziehe.
Die Frage, die uns alle aber viel mehr beschäftigt, ist eigentlich sehr einfach, bis wir uns sie alle bewusst stellen sollen: Was ist dein Ziel für die nächsten 6 Monate?
Solche Fragen haben mir schon immer Spaß gemacht und es ist wirklich gut sich diese Frage zu stellen, allein wäre ich da gar nicht drauf gekommen. Welche Antwort ich für mich gefunden habe, werde ich hier nicht schreiben, es ist sehr persönlich. Somit komme ich mir selbst wieder ein Stück näher.
Obwohl ich in 6 Tagen Zwischenseminar kein einziges Mal allein bin, habe ich ganz neue Seiten an mir kennen gelernt. Und vor allem weiß ich jeden einzelnen unserer Gruppe so sehr zu schätzen. Diese Woche ist zweifellos eine der schönsten Erlebnisse in meinem bisher noch recht kurzen Leben gewesen.
Danke, Leute❤