Fremd

Sonntag, 08.03.2020

Nicht jeder Tag ist ein Guter. Manchmal fühlt man eben, dass man vielleicht nicht zu 100 Prozent dazugehört, sondern aus einem anderen Teil der Welt kommt und anders tickt. Für mich ist dieses Gefühl schwer einzuordnen, aber wahrscheinlich ist es Heimweh. Mashadi hat mich einmal in den Arm genommen und gesagt: "Weißt du Rhea, manchmal habt ihr Heimweh, auch wenn ihr es gar nicht wirklich merkt. Und es ist okay, heimweh zu haben."

Nach einer Zeit von 6 Monaten bin ich hier Zuhause. Aber Zuhause impliziert eben auch, dass Menschen dich verstehen, nicht nur innerhalb der eigenen vier Wände. Es impliziert, dass du mit der Masse der Menschen unausgesprochene Gemeinsamkeiten teilst, unausgesprochene Regeln befolgst, Verhaltensmuster. Mentalität. Ein so großes Wort, denn was ist Mentalität alles? Für mich ist Mentalität ein Teil der Persönlichkeit und deines Verhaltens, was du durch unbewusstes Beobachten und Nachahmen deines Umfelds erlernst. Doch das ist nur, deine eigene Mentalität, die Mentalität des Landes, in dem du lebst ist so viel mehr. Für mich spielt da das Lebens- und Sicherheitsgefühl, ebenso wie die soziale Situation und eben das System von Universalismus und Patikularismus hinein, worauf ich in einem anderen Blogeintrag schon eingegangen bin. Doch wie soll oder kann ich eine Mentalität denn verstehen, wenn ich von einem Ort komme, an dem die soziale Situation, die Sicherheit und eigentlich fast alle Strukturen für mich sicher und fest sind. Wie kann ich Dinge kopieren, Verhaltensmuster anpassen und diese Dinge auch noch toll finden, wenn der Grund des Verhaltens der Menschen eigentlich ein nicht erstrebenswerter ist. Wie kann ich die Streetscene und die entspannte Einstellung der Menschen, sowie die Offenehit und Toleranz gegenüber jedem einzelnen Individuum so feiern, wenn gerade die Entspanntheit ein Ergebnis der weitreichenden Armut ist. Ganz einfach. Weil ich die Möglichkeit habe, es zu sehen. Weil ich das Glück hatte, in einem Land mit sicheren Strukturen geboren zu sein, was mir heute die Möglichkeit gibt, die Welt und all diese Ungerechtigkeit zu sehen.

So viel der Dinge, die ich bereits nach 25 Prozent meines Freiwilligendienstes als gut und besser betrachtet und empfunden habe, scheinen mir zurzeit zwar noch richtig, aber der Grund wie diese Verhaltensmuster zustande kommen, ist so eindrücklich, dass es doch sehr fake ist, ein Verhalten nachzuahmen, was einen solchen Ursprung hat. Oder ich lerne mich eben gerade selbst kennen und erkenne, welche Seiten von mir in einer Gesellschaft, die auf Leistung und Schnelligkeit getrimmt ist, unterdrückt ist. Man kann sich eben nicht nur die guten Dinge und Verhaltensweisen rauspicken und sich eine "perfekte" Mentalität kreieren. Die Mentalität kreiert sich selbst, aus dem was uns umgibt, die Art und Weise, wie Menschen mit uns interagieren. Also kreiiert und formt die Mentalität eher uns. Und äußert sich eben in der African Time, der deutschen Überpünktlichkeit und so viel anderer Dinge.

Und manche Dinge verstehe ich nicht ganz, möchte ich vielleicht auch nicht ganz verstehen, weil sie für mich einfach in dieser Form keinen Sinn ergeben. Ich habe mich schon oft aufgeregt, über langatmige Prozesse, Organisationen die sich in die Länge ziehen, oder einfach, wenn die Kopie, auf die ich seit 2 Stunden warte, 3 Wochen später immer noch nicht bei mir angekommen ist.

Dieses Thema ist so unendlich interessant, doch beschäftigt mich derzeit ebenso emotional. In einem Land zu leben, lässt mich meine eigene Mentalität infrage stellen, ich versuche sie zu bewerten. Bis zur Akzeptanz habe ich noch viel zu lernen. Doch das ist auch das Schöne daran. Das Land aus dem wir kommen, ist eben doch mehr, als nur ein Wort in unserem Pass. Es formt uns und unser Verhalten, kann aber auch bewusst von uns selbst geformt werden. Ich möchte mich mit ganz vielen verschiedenen Menschen und Mentalitäten umgeben, von denen ich lernen kann, die aber auch von mir lernen können.

Bis bald.