Berichte von 12/2019

Dezemberfreiheit

Donnerstag, 26.12.2019

Ein verspäteter Blogeintrag über mein Treiben im Dezember. Eigentlich wollte ich diesen Blogeintrag schon viel früher schreiben. Warum ich keine Zeit dazu hatte kann hier nachgelesen werden. Ich entdecke gerade erst meine Liebe für das Schreiben wieder, auch wenn es schwer ist, sich immer die Zeit zu nehmen, wirklich Eindrücke in Form von Worten festzuhalten. Aber besser spät als nie, also here we go:


Der Dezember steht vor der Tür. Am 5. Dezember ist der letzte Arbeitstag und schon beginnt das Abenteuer namens Freiheit. Sechs lange Wochen ohne Arbeit, dafür die volle Entscheidungsfreiheit und der Wunsch, so viel sie möglich vom wundervollen Südafrika zu sehen. Und schon geht es los.
Nicht einmal ein Wochenende Zeit, die erste Reise steht an. Obwohl ich dieses Jahr nicht, wie die letzten Jahre, mit meiner deutschen Familie die Wanderwege in Österreich unsicher mache, heißt es packen für den Familienurlaub. Meine Gastfamilie hat mich schon vor Woche gefragt, ob ich mit ihnen gemeinsam an die Wild Coast in KwaZulu-Natal und nach Durban fahren möchte und da habe ich begeistert zugestimmt. Wir fahren um 2 00 Uhr morgens in Atteridgeville los, mit Essen im Gepäck, Schlaf in den Augen und guter Laune. Als Beifahrer muss ich mit 2 Stunden Schlaf als mentale Unterstützung wach bleiben. Meine mentale und physische Unterstützung sind Tonnen an Kaffee, aber beim Fahren durch die unendlichen Weiten von Mpumalanga, die westlich gelegene Provinz von Gauteng, durch die wir fahren und auf deren Straße wir für über drei Stunden das einzige Auto sind, würde wohl jeder müde werden. Aber als wir in Durban ankommen, ist alles vergessen und wir wollen einfach nur noch ans Meer. Sand zwischen den Füßen und Sonne im Gesicht ist eines der besten Gefühle der Welt. Nur meine Haut ist nach 15 Minuten mal wieder ungesund rot verfärbt. Lange bleiben wir eh nicht, as eigentliche Ziel ist noch 1.5 Stunden entfernt.

                 

Margate ist ein Badeort an der Wild Coast, wo ein Fluss in den indischen Ozean mündet. Dort wohnen wir für die nächsten vier Tage. Fast erinnert mich dieser Ort an einem amerikanischen Film, wie ein Fischerdorf. Nur leider ist es vom ersten Tag an sehr kalt. Der Regen ist stechend, die Nässe kriecht überall herein. Doch unsere Laune hängt nicht am Wetter. Wir braaien jeden Tag, das südafrikanische Grillen, trinken Wein, spielen Karten. Ich lese Geschichten vor. Ich fühle mich von dieser Familie so aufgenommen und willkommen. Sie erzählen mir viel über die Geschichte des Zulu-Clans, eine der zahlreichen Kulturkreise in Südafrika. Zulu ist die am meisten gesprochene Sprache in Südafrika und die Geschichte des Clans düster und sehr spannend. Ich lerne viel und erzähle selbst wie es ist, in Deutschland zu leben. Und einmal können wir tatsächlich baden. Das Wasser ist eiskalt, aber nach einer Weile spürt man nichts mehr. Die Wellen sind riesig und reißen mich ungeplant mit. Der wilde indische Ozean belebt mich und ist genau das, was ich nach einer arbeitsintensiven Phase gebraucht habe. Ich habe das Gefühl mit meiner Gastfamilie noch enger zusammen gewachsen zu sein. Während ich mich zu oft immer noch mehr wie ein Gast gefühlt habe, habe ich jetzt wirkliche südafrikanische Geschwister bei denen ich auch mal laut werde, wenn es nötig ist. Ich verlasse mich mehr auf sie und ich denke sie auch mehr auf mich. Wie in einer richtigen Familie.
            
Nach dem Familienurlaub geht es direkt weiter im Alleingang. Die erst Autofahrt steht an. Ziel: die Drakensberge. Gemeinsam mit Johanna, meiner Mitfreiwilligen und unseren Freunden, die auch als Freiwillige in Atteridgeville leben und arbeiten, fahren wir erst nach Johannesburg, um dort eine weitere Mitreisende abzuholen. Mit vollbepacktem Auto sind wir startklar. Ich hatte ziemlich Respekt vor der Autofahrt. Linksverkehr, erste Fahrt. Vor allem aber bin ich seit über 4 Monaten nicht mehr gefahren und mein Führerschein ist gerade mal 7 Monate alt. Mit Anfangsschwierigkeiten groove ich mich ein und alles läuft problemlos. Meine erste Fahrt ist ein Acht-Stunden-Trip, danach kann ich definitiv behaupten, dass ich in Südafrika fahren kann. Es ist die ähnlichen Strecke, wie nicht einmal eine Woche zuvor nach Durban. Doch diesmal fahre ich, während alle anderen schlafen. Es ist unglaublich zu sehen, wie die Landschaft sich verändert. Vom Großstadtjoburg zum flachen, steppengleichen Mpumalanga, durch die Ansätze des tropischen Regenwaldes und schließlich zum Gebirge, den Drakensbergen. In gerade mal 8 Stunden. Als wir schließlich ankommen, sind wir erstaunt von unserer Unterkunft, eine komplette Lodge nur für uns. Riesengroß, Fernsehzimmer, Terasse, Garten, 4 Schlafzimmer. Umgeben von einem See, an dem ein Schild vor Krokodilen warnt. Gesehen habe ich keins. Zwar halten wir Ausschau, aber anscheinend wollen sie sich uns nicht zeigen. In den nächsten Tagen kochen wir zusammen, ich mache jeden Morgen Frühstück für alle. Wir entspannen uns Abends mit einem Glas Wein auf der Hollywoodschaukel und schauen zu, wie die Sonne langsam untergeht. Und wir gehen wandern.
Der Royal Natal Nationalpark ist gerade einmal 2 Stunden von uns entfernt. Dort verbringen wir einen ganzen Tag und begeben uns auf eine Wanderung, für die wir statt wie angegeben 4, fast 8 Stunden brauchen. Unterbrochen vom selbsterwähltem Klettern auf hohe Felsen, das Turnen auf Vorsprüngen und natürlich Trinkpausen mit Musik.
     
Das Highlight ist ein Fluss, der durch eine tiefe Schlucht fließt. Ich bin mir nicht sicher, ob wir unsere Route überhaupt verfolgt oder geschafft haben. Aber wir schlafen alle 5 auf einem Felsen in der Mitte des Flusses kurz vor einem Wasserfall ein. Und in diesen eisige Wasser springen wir danach, bis unsere Gliedmaßen taub und unsere Lippen blau sind. Todmüde falls ich an diesem Tag ins Bett. Schon ist es vorbei, die Zeit zu fünft, die ich so sehr genossen habe und wir verabschieden uns von den Bergen. Die unendlichen Weiten geben mir das Gefühl, die einzige Person auf der Welt zu sein und oft halten wir am Straßenrand an, um einfach nur über diese Schönheit zu staunen.

Als ich wieder in Atteridgeville bin, ist auch schon Heiligabend, aber der wird in Südafrika gar nicht gefeiert. Schon ein wenig merkwürdig, einen ganz normalen Arbeitstag zu haben, während in Deutschland schon gefeiert wird. Der 25. Dezember ist ein ruhiger Tag, wie kochen zusammen. Es gibt viel zu viel Essen, es ist so gut, dass ich weinen möchte. Ein paar Drinks, es ist schließlich Sommer und über 30°C. Ich bin bei meiner Gastfamilie. Das etwas andere Weihnachten. Am 27. Dezember geht es auch schon weiter.

Meine Bilder können übrigens in der Galerie am Ende des Blogs eingesehen werden. Einfach mal durchklicken:)

Ich hoffe iht hattet alle ein gesegnetes Weihnachtsfest mit euren Liebsten.

Fünfundzwanzig Prozent

Sonntag, 01.12.2019

Und schon sind 3 Monate in Südafrika vorbei. Wie schnell die Zeit doch vergeht, ich finde es ziemlich beängstigend und habe das Gefühl, als wäre ich erst gestern angekommen. Aber vor allem die ersten zwei Monate, in denen ich auf noch auf mich allein gestellt  war und unter anderem gelernt habe, wie ich mich im Township bewege, haben mich sehr geprägt. Was genau macht dieses Land denn nun mit mir?

Südafrika ist wunderschön und ich kann jetzt schon sagen, dass ich definitiv einige meiner kostbarsten Erinnerungen hier gesammelt habe und es kommt ja noch so viel. Das liegt an der Freiheit, die ich habe. Ich bin weg von Zuhause, ich reise, ich mache was ich will, ich BIN einfach. Und dadurch, dass die Regelkonformität nicht immer, beziehungsweise nicht so stark gegeben ist wie in Deutschland, ergeben sich halt einige Dinge. So fährt man eben mal zu viert auf der Rückbank auf der Autobahn, vom Anschnallen muss ich gar nicht reden. Mittlerweile bin ich nur überrascht, wenn sich jemand überhaupt noch anschnallt. Oder man klettert mit einem Bier in der Hand auf einen Felsen, über den Dächern von Joburg (in Deutschland wären da 10 Absperrungen) und beobachtet, wie die Sonne in den schönsten Farben untergeht. Dabei versuche ich nachzuvollziehen wie etwas so Schönes, auch so dunkle Seiten haben kann. 

Ich lebe minimalistischer. Nicht mit viel Verzicht, aber dennoch so, dass ich die Dinge einfach mehr zu schätzen weiß. Das fängt schon beim Duschen an, ich wasche mich durchschnittlich mit 5 Litern Wasser. Nicht, weil es nicht mehr gibt, sondern weil man einfach sparsam ist. Warum auch nicht, Süßwasser ist schließlich knapp auf der Welt und da muss man nicht eine Stunde unter einer heißen Dusche stehen oder die Wanne ganz voll laufen lassen. Ja, auch ich genieße das, aber es ist absolut nicht nötig! Auch was das Kochen und den Umgang mit Lebensmitteln angeht, sind viele Familien anders, was an der finanziellen Situation liegt. Zumeist wird zu Beginn des Monats groß eingekauft, der Großteil davon muss für dem Monat reichen. Gekocht werden häufig um die sechs oder acht verschiedene Töpfe. So kann unterschiedlich kombiniert werden und es wird von jedem immer nur ein wenig aufgetan, sodass es lange reicht. Vieles wird auch eingelegt. Ich bin wirklich kein guter Koch, aber diese Speisen sind relativ simpel und schmecken soo gut. Und es kommt schon fast an eine Art Restekochen heran. 

Ich bin entspannt. Wenn man, vor allem im Township, unterwegs ist, damn strahlen die Menschen diese andere Art von Gelassenheit aus. Pantoffeln, die witzigsten und entspanntesten Outfits. Dies ist natürlich auch der hohen Kriminalität geschuldet, denn wer nicht den Eindruck vermittelt, als hätte er/sie etwas zu verbergen, ist auch weniger angreifbar. Aber diesen Punkt beziehe ich nicht nur auf mein äußerliches Auftreten oder mein Bewegen im Township. Vor allem geht es dabei um eine Lebenseinstellung. Tief durchatmen kann vieles einfacher machen und wirkt sich eben auch auf das Bild und die sichtbare Attitude aus, die jeder Mensch sendet. Das war für mich vor allem wichtig, da ich mich zu Beginn allein sehr unsicher im Township gefühlt habe. Jedoch habe ich gelernt, dass dieses Bild und das eigene Gefühl auch andere beeinflusst, und dass ich vor allem auch sicherer bin, wenn mein Bild keine Verletzlichkeit, Anspannung oder Angst ausstrahlt. Vor allem Johanna hat mir 2 Wochen nach ihrer verspäteten Ankunft in Südafrik gesagt, dass ihr das Einleben einfach fällt, weil ich so entspannt wäre. Ich habe mich zuvor nie als sehr entspannte Person erlebt. Viele Menschen in Südafrika, und nun auch ich, sind mit Dingen konfrontiert, die es so im Deutschland nicht geben würde. Aber auch in extremeren Situationen, muss zumindest ein wenig Ruhe bewahrt werden. Dies beginnt bei Stromausfall, im Deutschland würden einige Menschen nach mehr als 2 Stunden ohne Strom damit beginnen, ihre Versicherung mit Beschwerden zu bombardieren. Im Oktober hatten wir einmal 36 Stunden keinen Strom. Eigenlich war es ganz gemütlich. Zusammensitzen, gemeinsam essen und dann früh schlafen gehen. Auch ohne Wasser geht es mal, ich kann mich nicht erinnern, dass ich in Deutschland jemals kein Wasser hatte, noch nicht einmal kein Warmes. In der Schule und in gesamt Atteridgeville war die Wasserversorgung einmal für ganze fünf Tage lahmgelegt. Ich bin auf jeden Fall froh, das in Deutschland nicht zu erleben, aber ich will damit sagen, dass auch solche Dinge, die gut und gerne eine Massenpanik auslösen könnten, zu ertragen sind, wenn man sich nur ein bisschen entspannt. Man rückt zusammen und verlässt sich darauf, dass alles wieder in Ordnung kommt. Mehr kann als Einzelperson sowieso nicht getan werden. Allgemein kann ich sagen, dass es einfach gut tut, einen Gang runter zu schalten. Du musst und kannst nun einmal nicht immer einhundert Prozent geben. Den ganzen Tag nur herumrennen, keine Minute Pause, erst spät und völlig ausgelaugt nach Hause und dann zu kaputt um noch mit der Familie, Freunden oder Hobbies beschäftigt zu sein, ist für einen selbst und für andere Personen einfach nicht schön und erst recht nicht gesund. Zu Beginn habe ich bearbeitet, wie ich in der Schule gelernt habe: Höchstleistung und alles in kürzester Zeit. Nach vier Stunden ging bei mir fast nichts mehr und nach der Arbeit war ich viel zu müde. Das ist so nicht gedacht und wenn alle einen Gang runter schalten würden, dann wären Krankheiten, wie Burnout, längst nicht so häufig vertreten. Denn niemand kann immer einhundert Prozent liefern und dass darf auch keiner verlangen. 

Ich bin optimistisch. Sicherlich hängt dies auch mit dem Vitamin D Überschuss durch die ständige Sonneneinstrahlung zusammen, aber vor allem ist auch dies wieder eine Frage der Einstellung. Was soll ich sagen, wenn etwas nicht gleich funktioniert, dann probier ich es eben nochmal. Wenn es mir heute nicht gut geht, dann ist es morgen eben besser. Ich habe zum Beispiel kein Heimweh. "Heimweh" beschreibt für mich einen Zustand, in dem ich mich so sehr in die Abwesenheit hereinsteigere, dass ich zunächst nicht wieder herauskomme oder von Traurigkeit übermannt werde. Natürlich kann nicht jeder Tag gut sein und natürlich vermisse auch ich Menschen von Zuhause in Deutschland. Aber eigentlich ist es doch nur schön, solche Menschen in seinem Leben zu haben, die man so sehr vermissen kann. 

Und zu guter Letzt, ich bin glücklich. Das ist nur bedingt etwas, was ich hier gelernt habe, aber auf jeden Fall war ich noch nie über einen so langen Zeitraum so uneingeschränkt, so bedingungslos und so ehrlich glücklich und im Reinen mit mir selbst. Dies zeigt nur, wie gut diese Entscheidung für mich war und wie gut dieses Land mir tut. Ich bin schon so gespannt, was ich in ein paar Monaten sagen werde. Jetzt ist hier erst mal Sommer und das bedeutet für uns Reisen ohne Ende. 

Bis dahin☀️