Von Bulungula nach Coffee Bay

Samstag, 29.02.2020

Das Zwischenseminar steht an und somit geht es an einem warmen Samstagnachmittag los in Richtung Eastern Cape, eine bisher von mir unbereiste Provinz. Ich kann es noch gar nicht fassen, dass schon Halbzeit sein soll, freue mich aber auf eine Auszeit und vor allem darauf, meine Mitfreiwilligen alle versammelt wieder zu sehen.

Sonntag.
Nach 14 Stunden Busfahrt kommen wir endlich im Mthatha im Eastern Cape an. Geschlafen hat von uns keiner. Es sieht alles sehr verlassen und verschlafen aus und ehrlich gesagt fühlen wir uns in unserer Gruppe von 7 Freiwilligen aus Gauteng, voll bepackt und verschlafen, gar nicht mal so sicher. Es ist auch erst 6 30 Uhr, aber wir haben so einiges vor. Nach ein paar Komplikationen und einem kleinen Fußmarsch unsererseits, weg vom eigentlichen Treffpunkt und Richtung Innenstadt, die auch nicht besonders sicher wirkt, haben wir Glück und werden von einer unserer Kontaktpersonen entdeckt. Wir müssen sehr verloren aussehen, 7 Weiße am frühen Morgen in einer Kleinstadt, niemand kennt den Weg, alle haben Hunger und wir sprechen auch die Sprache nicht. Schließlich sitzen wir jedoch im Minibus, unsere Fahrer haben uns aufgesammelt. Ausgegangen wird von einer Autofahrt von etwa 1.5 Stunden, letzendlich sind es 6.
Im Rahmen des Zwischenseminars steht eine Wanderung entlang der Wild Coast an und Ausgangspunkt dieser Wanderung, und auch Treffpunkt der gesamten Gruppe Freiwilliger, ist die Bulungula Lodge. Doch der Weg dahin ist steinig ;) Tatsächlich sind die Straßen in keinem guten Zustand, eigentlich verdienen sie den Namen “Straße” gar nicht. Es sind vielmehr Feldwege. Jedoch müssen wir irgendwie zur Lodge kommen und laufen würde mich und meine viel zu empfindliche Haut in der Hitze erstens umbringen und zweitens wäre es viel zu weit. Der Weg ist ein Abenteuer an sich. Unterwegs fällt ein platter Reifen auf, dessen Wechsel zu einer Verzögerung führt. Später wird klar, dass nicht nur ein Reifen platt ist. Trotzdem fahren wir durch Gräben, bei denen ich jedes Mal Angst habe, dass das Auto stecken bleibt. Am besten ist eine Brücke ohne Geländer, die mit einer riesigen Pfütze bedeckt ist. Unterwegs werden noch ein paar Drinks aufgetrieben und nach 1 bis 18 Bier kommen wir (gut gelaunt) in Bulungula an.

Montag.
Am späten Abend sind die Anderen, nach ähnlicher Anreise wie unserer, doch noch eingetroffen, die Wiedersehensfreude ist groß. Am Lagerfeuer werden Geschichten erzählt und die Location bestaunt, in der wir uns hier befinden. Die Bulungula Lodge ist zweifelsohne an einem der paradiesischsten Orte überhaupt. Zudem ist die Lodge komplett nach lokaler Kultur gerichtet. Das besondere ist, dass die Lodge auch Eigentum des Nqileni Dorfes ist, einer Xhosa-Community. Somit ist die Lodge nach dem kulturellen Leben gerichtet und die Community mit eingebunden, was zu einem Interesse der Community am Erhalt der Lodge führt, da die Xhosa Menschen auch in der Lodge arbeiten. Vom traditionellen Essen bis angebotenem Pferdereiten am nicht einmal 100 Meter entfernten Strand, die Community trägt dazu bei. Außerdem ist die Lodge recht autark, Solarenergie für Strom, Wasserbezug aus einer eigenen Quelle, “Rocket"-Hot-Water Showers und sogar umweltfreundliche Toiletten, die das Kompostieren erleichtern. Und all das, eingebunden in die lokale Community und Traditionen der Xhosa. Das Volk der Xhosa lebt, zwar mittlerweile verteilt, aber dennoch größtenteils im Eastern Cape in eigenen, teils abgeschiedenen Siedlungen, welche eine enorme Ausdehnung haben. Dies haben wir bereits bei unserer waghalsigen Fahrt zur Bulungula Lodge gesehen. Die Siedlungen werden von Personen aus ihrem Kreis verwaltet, wobei es auch sogenannte Chiefs gibt, die bis zu vierzig Siedlungen verwalten und damit ein enormes Gebiet abdecken. Durch Zuschüsse von der Regierung, konnte in den Siedlungen eine Strom- und Wasserversorgung etabliert werden, jedoch trifft dies nicht auf alle zu und ist längst nicht ausreichend. Somit sind viele Siedlungen von Unterstützung durch die Regierung vollkommen abgeschnitten.
Die Landschaft ist gezeichnet mit den traditionellen Häusern, einstöckige Rundbauten mit spitzen Strohdächern, häufig bunt bemalt. In solchen Häusern sind wir für zwei Nächte untergebracht und ich glaube, ich habe noch nie so gut geschlafen.


Jetzt, wo alle da sind, kann das Seminar beginnen. In einer Laube im Garten stellt jeder sein Projekt vor und bewertet Aspekte wie das eigene Sozialleben, die Arbeitsbedingungen und die Unterkunft. Auffällig ist dabei, dass wir alle sehr optimistisch an die jeweiligen Situationen heran gehen, obwohl bei einigen auch Probleme auftauchen. Es ist sehr schön, endlich einmal ausführlich über jedes Projekt zu erfahren und ich bin noch einmal bestärkt und froh darüber, in Gauteng und bei Makgatho gelandet zu sein. In den Pausen gehen wir schwimmen im Meer, liegen in der Hängematte oder chillen in der Laube, die meiner Meinung nach aussieht, wie eine Meditationsoase. Oder eben ein Ort für Stammesversammlungen. Unser seminarleitende Mentor Jonas nimmt auch gern Platz auf einer Art Thron, aber allzu ernst geht es nicht zu. Es ist eine entspannte Runde, wir reen über relevante Themen, aber keiner wird für 5 Minuten zu spät kommen bestraft und ich weiß schon gar nicht mehr, wann ich die Jogginghose das letzte Mal ausgezogen habe. Zu essen gibt es vor allem das Xhosa Brot, ein gedampftes Brot. Das wird uns die kommenden Tage noch öfter begleiten.

Dienstag.
Endlich brechen wir auf. So schwer es auch fällt, die Bulungula Lodge wieder zu verlassen, desto mehr freue ich mich aber auf die kommenden Tage. Der Plan ist, von Bulungula aus in drei Etappen bis zur Coffee Bay zu laufen und unterwegs in Dörfern unter zu kommen. Entlang geht es an der Küste, rauf und runter, die ganze Zeit. Häufig stelle ich mir die Frage, ob wir überhaupt auf einem Weg sind, aber unser Guide ist zuversichtlich. Er ist in Badelatschen unterwegs, und ich ärgere mich keine Wanderschuhe zu haben. Ich muss ganz ehrlich sagen, dass mir die Strecke einiges abverlangt. Der rapide Wechsel zwischen steilem Anstieg und ebenso starkem Abfall, gepaart mit glitschigen Steinen und Strandwalks ist sehr anstrengend. Und ebenso belebend. Einen Teil der Strecke laufe ich barfuß, klettere über Steine und stapfe durch das hohe Gras. An der Küste gibt es sehr viele Kühe, auf die wir immer wieder treffen. Auch ein Hund schließt sich uns an, er wird uns bis nach Coffee Bay begleiten. Zu der körperlichen Anstrengung kommt ein Mangel an Proviant und eine 0.75 Liter Flasche Wasser. Mehr braucht man ja auch nicht. Nach, nicht wie geplanten 4 Stunden, sondern 8 Stunden treffen wir erschöpft und glücklich im ersten Dorf ein. Es ist schon beinahe dunkel. Nach einer kalten Dusche sitzen wir am Lagerfeuer und essen Xhosa Brot und gegrillten Mais. Unsere Handys sind nach und nach ausgegangen, Strom gibt es keinen. Über uns ist der klarste Sternenhimmel, den ich je gesehen habe. Sogar die Milchstraße sehe ich. Einige von uns schlafen unter freiem Himmel, ich schlafe am Feuer ein.


Mittwoch.
Neuer Tag, neue Wanderung. Heute wird unser Gepäck gefahren, was eine extreme Entlastung ist. Gestern mussten wir an einer Stelle anhalten, weil wir durch Zeitverzögerung die Flut erwischt hatten. Wenn die jemand sagt, dass du jetzt deinen Rucksack auf den Kopf nimmst und durch ein brusthohes Wasser waten musst, schluckst du erstmal. Und dann läufst du halt los, denn Umkehren ist halt keine Option. Ein wenig Sorgen mache ich mir um mein Handy, Pass, Kreditkarte, die ich in einem schweren Rucksack mit Gepäck für eine Woche auf meinem Kopf balanciere, während mich eine Welle von der Seite trifft. Wir haben ein Strahlen im Gesicht. Ich war noch nie so lebendig.

Ohne Gepäck folgt nun der zweite Weg, kürzer an sich, jedoch mehr Berge, mehr Ups and Downs. Diesmal haben wir aber einige Punkte zum Anlaufen. Das erste Ziel ist das "Hole in the Wall", ein naturgeschaffenes Loch in einer Felswand, von dessen Klippen Einige in das tosende Wasser springen. Ich traue mir das nicht, habe auch schon wieder Sonnenbrand und bin körperlich sehr gefordert. Am Hole in the Wall verletze ich mir auch mein Knie. Das merke ich aber erst am Abend, nach weiteren 6 Stunden Wanderung. So anstrengend es auch ist, wenn ich über einem Wasserfall stehe, der unter mir tosend in die Tiefe stürzt, dann hat sich alle Anstrengung gelohnt. Die Wild Coast ist ein magischer, wunderschöner Ort. Ich sauge alles auf, habe das Gefühl besser atmen zu können. Im zweiten Xhosa Dorf ist das Wasser ausgefallen. 15 Leute schlafen in einer Hütte von 25 Quadratmetern. Ich bin Teil davon. Niemand kann duschen, aber Bier kann man überall auftreiben. Am Mittwochabend gewittert es über den Hügeln und regnet in Strömen. Es gibt Xhosa Brot.

Donnerstag.
Es ist nicht mehr weit, doch da es letzte Nacht so viel geregnet hat, brauchen wir noch einmal 2 Stunden bis wir in Coffee Bay ankommen. Über Flüsse, durch Pfützen. Schlammverschmiert und nass kommen wir schließlich in Coffee Shack an, dem Backpacker in der Coffee Bay, auf den wir uns seit Tagen freuen. Auch auf das Essen, denn mein Bauch macht mir nach all dem Xhosa Brot ein paar Probleme. Zu Coffee Shack fällt mir nur ein Wort ein: Paradies. Es ist so unbezahlbar, im Freien zu sitzen, unter einem Strohdach, umgeben von Hängematten und Pflanzen des tropischen Regenwaldes. Der Backpacker ist zu dem sehr international, wie treffen auf andere Deutsche, Engländer, Franzosen. Hier verbringen wir die letzten zwei Seminartage, spielen Pool Billard, Gespräche über unser Leben in Südafrika. 25 junge Menschen, die für ein Jahr dasselbe fühlen. Nach drei Tagen im Backpacker sind wir bereits Teil der Familie, man kennt meinen Namen beim Essen. Und an der Bar;) Wir versprechen wieder zu kommen. Jetzt sitze ich im Bus, in 2 Stunden steige ich in Pretoria wieder aus. Ich lächel noch immer.