Tablets und zerbrochene Fensterscheiben

Dienstag, 12.11.2019

Bildung kann Türen öffnen, Träume realisieren und Leben retten. Ich selbst bin mit meinem Schulabschluss mehr als zufrieden, aber Schulsysteme unterscheiden sich nun einmal. Die gefühlt 20 verschiedenen Arten vom Schulen, zwischen denen in Deutschland gewählt werden kann. Die unterschiedlichen Schulabschlüsse und Möglichkeiten. So ziemlich jeder Tür, die offene steht und dass es immer einen Weg gibt. Das ist für mich nicht selbstverständlich gewesen, aber trotzdem normal. Und ich bin wirklich nicht immer dankbar und motiviert zur Schule gegangen.
Um zu verstehen, wie die Probleme und Missstände des Bildungssystems zustande kommen, muss ein wenig Geschichte betrachtet werden. Während der Zeit der Apartheid hatten ausschließlich Kinder aus weißen Familien Zugang zu guten Schulen. Kinder aus Familien mit dunkler Hautfarbe erhielten stattdessen eine sogenannte "Bantu Education", die Grundkenntnisse, wie Lesen, Schreiben und Rechnen, außerdem Kochen, Putzen, Gärtnern und Handarbeiten vorsah. Diese Art von Bildung sah somit keine akademische Laufbahn vor. Auch heute ist es häufig so, dass die ärmere schwarze Bevölkerung als Angestellte in privaten Haushalten tätig ist. Auch meine Gastmutter hat mir erzählt, dass sie in der Schule Nähen und Kochen gelernt habe. Zunächst ist das einmal etwas, was ich durchaus unterstützen würde, mir hat die Schule in diesen Bereichen nicht sonderlich viel beigebracht. Im Gegenzug dazu erzählte sie mir jedoch auch davon, dass sie während ihrer Schwangerschaft nicht wusste, wie ihr Kind geboren werden würde. Sie wusste also nicht über die eigene Anatomie des menschlichen Körpers Bescheid, was in dieser Situation von absoluter Wichtigkeit ist.
Kurz gesagt gibt es heute zwei Arten von Schulen, staatliche- und Privatschulen. Diese können sich jedoch nicht viele leisten, aufgrund hoher Schulgebühren und langer Anfahrtswege. Meine Gastgeschwister gehen auf Privatschulen, die annährend den Standard europäischer Schulen haben. Im Gegenzug dazu gibt es die staatlichen Schulen. Auch Makgatho ist eine staatliche Schule und zudem im Township. Die meisten staatlichen Schulen haben nur wenig finanzielle Mittel zur Verfügung, weshalb die Gebäude zumeist in keinem guten Zustand sind. Hinzu kommen überfüllte Klassen mit bis zu 90 Kindern, die aufgrund des Mangels an Schulen und an qualifizierten Lehrern zustande kommen.
Auch in der Makgatho Primary School ist dies deutlich festzustellen. Die Klassenräume sind in containerartigen Installationen untergebracht, vier größere Komplexe. In jedem Klassenraum gibt es die essentiellen Dinge, die zum Lernen benötigt werden. Vieles ist aber auch kaputt oder wird obligatorisch irgendwie zusammen gehalten. Es gibt eine "Treppe" aus wackeligen Backsteinen zu einem Container, der schief steht. An vielen Türen fehlen die Klinken. Und die meisten Fensterscheiben haben Risse oder sind zerbrochen. In jedem Raum gibt es einen 10-Liter-Kanister mit Trinkwasser für einen Tag, der am Morgen von den Schülern geholt wird. Solche Kanister stehen ebenfalls vor den Klassenräumen, jedoch zum Händewaschen. Und es gibt alte Schulbänke, viele verschraubt mit dem Tisch, die häufig von bis zu vier Kindern geteilt werden. In den Vorschulklassen gibt es Plastikstühle oder halt einen Teppich. Dennoch ist irgendwie alles da, was benötigt wird. Es gibt kostenloses Mittagessen aus einem "Feeding-Programm", was den Kindern eine warme Mahlzeit pro Tag ermöglicht, einen Kiosk, Sportplatz, eine Bibliothek. Schon erstaunlich, mit was für einer dezimierten Ausstattung ausgekommen werden kann, aber, vor allem viele Kinder, kennen es nicht anders. Ich war, als ich hier angekommen bin, nicht direkt geschockt, da halt größtenteils die Basisausstattung gegeben ist, aber es es stehen halt keine bunten Bücherregale in den Räumen, sondern Holzbretter an der Backsteinwand, die es auch tun.
Makgatho ist eine gute Schule, die viele Möglichkeiten bietet. Die Primary School ist trilingual, die Kinder werden nach ihrem ersten Sprachen in Klassen eingeteilt: IsiZulu, Sepedi oder Englisch. In diesen Homelanguages werden sie dann unterrichtet. Neben der Möglichkeit Bildung in der eigenen Sprache zu erhalten, ist die Makgatho Primary School Teil mehrerer Programme, die ich in meiner Grundschule so nicht hatte. Da gibt es einmal die Foundation Phase, eine Stiftung, die durch das Bereitstellen von Tablets an mehreren Schulen das multimediale und digitalisierte Lernen ermöglicht. Für diese Tablet Classes bin auch ich zuständig. Die Tablets sind mit Apps aus fünf verschiedenen Bereichen ausgestattet: Literacy, Numeracy, Critical Thinking, Creativity und Toolbox und werden von den Kindern der Vorschulklassen, bis Klasse 3 genutzt. Die meisten der Apps sind nach dem Montessori-Konzept programmiert. Dann ist da noch die Kagisano Foundation. Diese Stiftung stellt Laptops für die Kinder der ersten Klassen mit einem Lernprogramm, was die Lesekompetenz fördert. Den Einsatz solcher digitalen Medien kann ich mir ziemlich gut in einer deutschen Schule vorstellen, ich selbst habe keine Lernspiele per Touchscreen bedient, als ich 6 Jahre alt war.

Was ist die Bildung denn jetzt eigentlich wert? Mit meiner Gastschwester habe ich, anlässlich einer anstehenden Prüfung, zusammen gelernt und sie hat mir alles über Marketing und wirtschaftliche Zusammenhänge erklärt, ein Fach, dass ich nach der zehnten Klasse so schnell wie nur möglich abgewählt hatte. Sie muss zwar keinen Wirtschaftskreislauf mit Geldfluss und Deflationsraten analysieren, wie ich in der Schule, aber der Unterrichtsstoff schien umfangreich und verständlich. Ein paar Dinge haben mich jedoch überrascht, nicht nur positiv.
So wird beispielsweise auf schnelles und gutes Kopfrechnen nicht allzu viel Wert gelegt, einige Lehrer zählen heute noch mit den Fingern. Am meisten schockt mich jedoch der Mangel an globalem Denken und Weltverstehen Einiger. Ich weiß nicht, wie sehr man sich damit bewusst auseinander setzen muss, um die Fähigkeit zu besitzen, immer größer und weiter denken zu können. Für mich ist ein globales Bewusstsein ein Teil der Allgemeinbildung, ebenso wie die Fähigkeit dieses zu bewerten. Allein bedingt durch Social Media finde ich es unmöglich, nicht informiert zu sein. Unabhängig davon, ob man über das gesamte (politische) Weltgeschehen informiert ist, ist man sich dessen bewusst, dass es gewisse Brennpunkte gibt und dass diese auch keine Ausnahmen sind. Als meine 30-jährige Kollegin in einem Gespräch jedoch überrascht war, dass ich schon einmal die Begriffe "Rassismus" und "Xenophobie" gehört habe und diese auch noch erklären, bewerten und kritisieren kann, war sie überrascht. Sie dachte, dass dies nur in Südafrika existiert, nicht einmal kontinental betrachtet. Auch scheint das kritische Auseinandersetzen schwer zu sein. Viele Menschen, die ich getroffen habe und die mich nach meiner Herkunft fragen, haben bei der Antwort "Deutschland" nur eine Assoziation: Hitler. Und nicht nur einer war überrascht, wenn ich antworte, dass dieser Mensch bereits tot ist und dass ich etwas Negatives dazu zu sagen habe.
Was mich auch schwer getroffen hat, war die Auseinandersetzung mit dem Thema Klimawandel und Erderwärmung. Ich habe eine Soul Buddyz Lesson vorbereitet und versucht, den Kindern den Treibhauseffekt, sowie Folgen und Maßnahmen anschaulich an einem Modell zu erklären. Unabhängig davon, dass Maßnahmen wie Wasser sparen in Südafrika sowieso durchgesetzt werden, konnten die Kinder den Zusammenhang nicht verstehen. Das selbstständige Herleiten von Zusammenhängen fiel ihnen so schwer. Überhaupt habe ich den Eindruck, dass größtenteils Fakten vermittelt werden, ohne diese zu hinterfragen. Was antwortet man, wenn ein 13-jähriges Mädchen mir erzählt, dass nicht so viel gestampft werden darf, weil der rote Staub, der im Südafrika überall zu finden ist, dann zu viel Gase erzeuge. Oder dass es nicht schlecht sei, wenn die Eisberge schmelzen, weil die Lebensqualität dort nicht so gut ist, da die Wäsche draußen nicht gut trocknet.
Das ist jetzt natürlich ein Beispiel und auf keinen Fall allgemein anzuwenden. Jedoch werde ich damit konfrontiert.
Ich werde auf jeden Fall versuchen, einen Teil von meinem eigenen Wissen an die Kinder weiterzugeben und meine Ansichten und Denkweisen so zu verpacken, dass sie auch verständlicher werden. Angefangen haben wir bereits damit (Meine Mitfreiwillige ist nach 9 langen Wochen des Wartens endlich doch noch gekommen). Mit neuer Motivation und Ideen haben wir eine Soul Buddyz Lesson mit dem Thema "Mobbing" gestaltet und dabei mit den Kindern nicht nur die Basics herausgearbeitet, sondern genau die Punkte, die uns bei einem solchen Thema wichtig sind. Ich freue mich sehr auf die kommenden Projekte und bin wieder voller Ideen und Motivation.
Bis bald ☀️